Donnerstag, 10. September 2015

Der Gebetsaufruf Goethes und eine wundersame Rettung

Als Johann W. von Goethe am 14.Mai 1787 an Bord eines Segelschiffes zusammen mit seinem Freund Kniep enthusiastisch den Sonnenuntergang in der Nähe von Capri betrachtete er, ahnten sie noch nicht in welch einer Gefahr sich das ganze Schiff befand. Erst als eine plötzliche Unruhe auf Deck entstand und die Passagiere sich um den Käpitän herumscharten und ihm heftige Vorwürfe wegen eines drohenden Unheils machten, begann ihnen zu dämmern, dass etwas nicht stimmte:
"Wir erkundigten uns nach der Ursache dieser Unruhe, indem wir nicht begriffen, dass bei völliger Windstille irgendein Unheil zu befürchten sei. Aber eben diese Windstille machte jene Männer trostlos. »Wir befinden uns,« sagten sie, »schon in der Strömung, die sich um die Insel bewegt und durch einen sonderbaren Wellenschlag so langsam als unwiderstehlich nach dem schroffen Felsen hinzieht, wo uns auch nicht ein Fußbreit Vorsprung oder Bucht zur Rettung gegeben ist.«"

Eine kurze Überprüfung der Lage machte ihnen klar, dass sie tatsächlich von einer  Strömung in Richtung einer gigantischen Felswand getrieben wurden:



Während die Frauen mit ihren Kindern sich jammernd auf den Boden gekauert hatten, machten die Männer weiterhin dem Kapitän wüste Vorwürfe. Was aber natürlich an der Lage und der auf das Schiff zukommende Katastrophe nicht das Mimdeste änderte. In diesem Moment höchster Not und allgemeiner Verzweifelung ergriff nun Goethe das Wort:


»Was euch betrifft«, rief ich aus, »kehrt in euch selbst zurück und dann wendet euer brünstiges Gebet zur Mutter Gottes, auf die es ganz allein ankommt, ob sie sich bei ihrem Sohne verwenden mag, dass er für euch tue, was er damals für seine Apostel getan, als auf dem stürmenden See Tiberias die Wellen schon in das Schiff schlugen, der Herr aber schlief, der jedoch, als ihn die Trost- und Hülflosen aufweckten, sogleich dem Winde zu ruhen gebot, wie er jetzt der Luft gebieten kann, sich zu regen, wenn es anders sein heiliger Wille ist.«

Diese Worte taten die beste Wirkung. Eine unter den Frauen, mit der ich mich schon früher über sittliche und geistliche Gegenstände unterhalten hatte, rief aus: »Ah! il Barlamé! benedetto il Barlamé!« und wirklich fingen sie, da sie ohnehin schon auf den Knieen lagen, ihre Litaneien mit mehr als herkömmlicher Inbrunst leidenschaftlich zu beten an. " 

Aber erst einmal schien sich nichts an ihrer Lage zu ändern. Das Schiff  trieb weiter unbeirrt auf die Felswand zu: 
"Gebet und Klagen wechselten ab, und der Zustand wuchs um so schauerlicher, da nun oben auf den Felsen die Ziegenhirten, deren Feuer man schon längst gesehen hatte, hohl aufschrien, da unten strande das Schiff! Sie riefen einander noch viel unverständliche Töne zu, in welchen einige, mit der Sprache bekannt, zu vernehmen glaubten, als freuten sie sich auf manche Beute, die sie am andern Morgen aufzufischen gedächten."

Je näher sie nun der Felswand kamen, umso stärker wurde die Brandung. Das Schiff begann mehr und mehr zu schwanken, was bei Goethe Übelkeit auslöste. Er begab sich in seine Kajüte unter Deck und begann dort auf seinem Bett im Halbschlaf vor sich hin zu dämmern:
"Wie lange ich so in halbem Schlafe gelegen, wüsste ich nicht zu sagen, aufgeweckt aber ward ich durch ein gewaltsames Getöse über mir; ich konnte deutlich vernehmen, dass es die großen Seile waren, die man auf dem Verdeck hin und wider schleppte, dies gab mir Hoffnung, dass man von den Segeln Gebrauch mache. 
     Nach einer kleinen Weile sprang Kniep herunter und kündigte mir an, dass man gerettet sei, der gelindeste Windshauch habe sich erhoben; in dem Augenblick sei man bemüht gewesen, die Segel aufzuziehen, er selbst habe nicht versäumt, Hand anzulegen. Man entferne sich schon sichtbar vom Felsen, und obgleich noch nicht völlig außer der Strömung, hoffe man nun doch, sie zu überwinden. Oben war alles stille; sodann kamen mehrere der Passagiere, verkündigten den glücklichen Ausgang und legten sich nieder."
  
So weit diese uns von Goethe überlieferte Anekdote aus seiner "Italienischen Reise". Das er, der Pantheist späterer Jahre, die Schiffspassagiere zum Gebet ermahnte, mag schon verblüffen. War es eine Eingebung? Man möchte es fast meinen, zumal dann im letzten Moment  doch noch eine wundersame Rettung durch eine aufkommende Brise erfolgte

Die ausführliche Geschichte kann man hier anclicken